Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem

Bearbeitung für für Kammerensemble von Joachim Linckelmann

Johannes Brahms hatte einen durchaus pragmatischen Bezug zu Aufführungen seiner Werke. Eigenhändig arrangierte er eine vierhändige Klavierfassung seines Requiems – die sogenannte Londoner Fassung - um auch kleineren oder pekuniär schlechter ausgestatteten Chören die Gelegenheit zur Aufführung zu geben. Daneben gibt es eine Reihe späterer Klavierfassungen anderer Bearbeiter, teils mit weiteren Instrumenten, z.B. Pauke, die sich einen gewissen Platz im Repertoire erobert haben. Brahms scheint sich dabei der Kompromisshaftigkeit der Klavierversion bewusst gewesen zu sein. In einem Brief heißt es: „Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, mein unsterbliches Werk auch für die vierhändige Seele genießbar zu machen. Jetzt kanns nicht untergehen.

Die Bearbeitung für Kammerensemble (Holzbläserquintett, Streichquintett und Pauke) von Joachim Linckelmann soll eine klanglich flexible, farbige Alternative bieten.

 

Das Werk

"So will ich bekennen, dass ich recht gern auch das „Deutsch“ fortließe und einfach den „Menschen“ setzte."  (Brahms 1868 in einem Brief an Karl Rheintaler, dem Bremer Domorganisten)

Die Entstehung des Requiems war ein jahrelanger Prozess: Der Schatten Beethovens lag über den sinfonischen Ambitionen des jungen Komponisten, der bis dato außer erstem Klavierkonzert und zwei Serenaden noch keine orchestralen Werke veröffentlicht hatte.

Johannes Brahms, ein respektvoll skeptischer Bibel-Kenner – stets spricht er von seinen „ehrwürdigen Dichtern“ – stellte den Text aus verschiedenen biblischen Quellen frei zusammen. Bedeutende Vorläufer wird Brahms, der die alten Meister akribisch studierte und zahlreiche ihrer Werke neu herausgab, gekannt haben:  Schütz nannte seine Musikalischen Exequien von 1636 Concert in Form einer teutschen Begräbnis-Missa. Bachs Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit – auch Actus Tragicus genannt – verknüpft verschiedenste Bibeltexte zum Thema der Vergänglichkeit; nicht zuletzt war Schumanns Requiem für Mignon eine Inspirationsquelle – Brahms führte das Werk zusammen mit dem Wiener Singverein zur Zeit der Entstehung seines Requiems auf; möglicherweise wusste er auch von Schumanns eigenen Pläne für ein „Deutsches Requiem“.

Das Werk ist keine Totenmesse im liturgischen Sinn, bei der für die Ruhe („Requiem“) und das Seelenheil des Verstorbenen gebetet wird. Hier geht es um diejenigen, denen auf Erden keine Ruhe mehr vergönnt ist – Trauernde und ihren Trost. Schon der Anfang mit den Worten aus den Seligpreisungen - „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“ - umreißt die menschenzugewandte Perspektive des Stücks.

Das siebensätzige Werk ist tendenziell spiegelsymmetrisch angeordnet. Der erste Satz, quasi ein Prolog, entspricht in Tonart und Textwahl dem letzten. Die verhaltene Klage der Orchestereröffnung ist melodisch an den Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ angelehnt – Brahms verknüpft das Motiv im folgenden kunstvoll mit der Textzeile „sie gehen hin und weinen“.

Der zweite Satz ist Exposition und Vertiefung des ersten. Er hebt an mit einem Trauermarsch: – „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“, ebenfalls eine Reminiszenz an den Choral mit einstimmigen Chorpassagen und instrumentalen Ritornellen, unterbrochen von einer vokaler Episode in fließenderer Bewegung. Der Wiederkehr des Trauermarsches setzt der Chor die Gewissheit der Petrusworte - „aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit“ entgegen. Das abschließende jubelnde Chorfugato mündet in die lichten Klangsphären „ewiger Freude“.

Der dritte Satz, strukturell mit dem sechsten vergleichbar, markiert die Wendung zum Persönlichen. Der Solobariton beginnt mit den illusionslosen Worten des 39. Psalms: „Herr lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss und ich davon muss“. Der dramatische Wechselgesang zwischen Solist und Chor mündet über die skeptische Frage „Wes soll ich mich trösten?“ und dem sich zögernd steigernden „Ich  hoffe auf Dich“ in einer Doppelfuge, deren Textaussage „Der Gerechten sind in Gottes Hand“ durch den „felsenfesten“ Orgelpunkt der Instrumentalbässe verdeutlicht wird

Die folgenden beiden Teile sind lyrische Intermezzi in der Mitte des Werks. Der vierte Satz, eine Vertonung des 84. Psalms, ist ein schwingender Lobgesang mit kantablen Linien und leuchtenden Holzbläserfarben. Der fünfte Satz, entstehungsgeschichtlich der letzte, ist der zarteste und intimste. In den Worten Jesajas und Johannes` verkörpert der chorbegleitete Solosopran die archetypische Rolle der mütterlichen Trösterin.

Der sechste Satz beginnt wie der dritte im Gestus eines Chorals: „Denn wir haben hie keine bleibende Statt“. Schon die seufzerartigen Anfangsakkorde des Orchesters markieren den Rückfall vom seraphischen G-Dur in die erdenschwere Welt der Sterblichen. Doch in den Worten des Korintherbriefs verkündigt der Bariton die Vision des Jüngsten Tages, zusammen mit dem C-Dur-Triumph des Chors „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“ und der groß angelegten Fuge der unbestrittene Höhepunkt des gesamten Werkes.

Der siebte Satz ist Ausklang und Epilog. Das Selig-Motiv aus dem ersten Satz erklingt variiert bereits in der feierlichen Melodie der Chorsoprane, zuletzt jedoch - der Kreis schließt sich – in seiner melodischen Urgestalt.

Brahms schöpfte bei der Komposition des Requiems aus reichen Quellen: kirchentonaler Harmonik, der Stimmführung der alten Meister und dem Vokalstil von Schütz, Händel und Bach. Die kunstvolle Verschmelzung heterogener Einflüsse öffnete ihm nicht zuletzt den Weg zur sinfonischen Form. Als sein Requiem 1868 vor einer Reihe der bedeutendsten Musiker Deutschlands im Bremer Dom uraufgeführt wurde, schien sich zu zu bewahrheiten, was Schumann 15 Jahre vorher in seinem berühmten Artikel „Neue Bahnen“ prophezeit hatte:

„Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise hineingezogen...Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte verleihen, so stehen uns noch wunderbare Blicke in die Geisterwelt bevor.“

 

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